Lotte Lehmann als Marschallin, Artur Rodzinsky, Grete Stückgold als Oktavian |
Vor einiger Zeit erwarb ich bei einem amerikanischen Händler über Ebay einige Stücke aus dem Nachlass der Sängerin Grete Stückgold, die ich sehr schätze. Es handelte sich um ein handgeschriebenes Notizbuch, von dessen Inhalt ich gehofft hatte, dass es vielleicht eine Art Tagebuch enthält. Tatsächlich war es aber ein altes Poesiealbum aus ihrere Kindheit mit Eintragungen von Kinderfreundinnen, auf dessen freie Seiten sie später Liedtexte von Liedern aus ihrem Repertoire aufgeschrieben hat - vielleicht als Gedankenstütze. Interessanter waren ein paar Zeitungsausschnitte und Anzeigen, die dem Album beilagen, und die einen Blick auf eine gewisse Tragik der späten Jahre der Karriere von Grete Stückgold eröffnen.
Grete Stückgold war 1927 nach Amerika gekommen und hatte hier einige Jahre erfolgreich konzertiert. An der Met sang sie zwischen 1927 und 1930 immerhin 47 mal, ohne sich, auch wegen der starken Konkurrenz, wirklich durchsetzen zu können. Zwischen 1931 und 1934 war sei nur noch 7 mal eingesetzt. Nach einer Pause von vier Jahren sang sie noch einmal im März 1938 bei einem Gastspiel der Met in Boston den Oktavian zu Lotte Lehmanns Marschallin im Rosenkavalier. Im Januar 1939 erhielt sie dann noch einmal eine große Chance: der Ehemann von Lotte Lehmann war gestorben, und sie durfte am 25. Januar kurzfristig einspringen, diesmal als Marschallin - eine Rolle, die sie zuletzt 1929 ganze 3 mal auf der Bühne gesungen hatte.
Im Nachlass von Grete Stückgold befanden sich noch viele Andenken an und Zeitungsausschnitte von diesem Tag. Er muss ihr viel bedeutet haben. Als erstes finden sich die aufmunternden Telegramme, die sie für diesen Tag bekommen hatte.
Telegramm an Grete Stückgold 25.I.1939 von William Matheus Sullivan |
Telegramm an Grete Stückgold 25.I.1939 von Virginia Mauret |
Telegramm an Grete Stückgold 25.I.1939 von "Sunny" mit Einladung zum Zusammensein nach der Vorstellung |
Ebenfalls aufgehoben hat Grete Stückgold ein Kärtchen, das wohl an einem Blumenstrauss hing, der ihr an dem Abend von der Metropolitan Opera Association überreicht wurde.
Die Ankündigung und die Besprechungen der Vorstellung befand sich in Form von Zeitungsausschnitten ebenfalls in der Sammlung. In der Ankündigung wird vom Tod von Dr.Otto Wiener, dem Ehemann von Lotte Lehmann, berichtet, und dass Grete Stückgold mehrere assistant conductors der Met zur Verfügung standen, um innerhalb von zwei Tagen die Rolle zu studieren.
Ankündigung (24.I.1939), dass Grete Stückgold für Lotte Lehmann einspringen wird |
In der ersten Besprechung wird hervorgehoben, dass sie in Anbetracht der schwierigen Umstände erfolgreich war. Dann folgen eine Reihe von Einschränkungen: sie habe nicht die ideale Marschallin-Stimme und habe im dritten Akt Probleme gehabt. Insgesamt ist das Fazit, dass es keine dramatisch elaborierte Interpretation gewesen sei, aber die wichtigen Punkte (für eine erfolgreiche Interpretation) erfüllt gewesen seien. Der Artikel geht noch in der zweiten Spalte weiter mit einer kurzen Besprechung des restlichen Ensembles (Rise Stevens, Julius Huehn, Emanuel List). Diesen Teil hat Grete Stückgold abgeschnitten bzw. nicht mit aufgehoben.
Besprechung aus unbekannter Zeitung vom 26.I.1939 |
Schließlich findet sich noch eine Besprechung aus einer in Amerika erscheinenden deutschsprachigen Zeitung, die ihre Rollengestaltung als Drahtzieherin des Geschehens lobt, aber dabei die Darstellung der Tragödie der alternden Frau vermisst.
Diese Tragödie der alternden Frau und Sängerin selbst zu erleben, muss Grete Stückgold auch durchgemacht haben. Sie übernahm noch drei Tage später, am 28.I.1939, eine weitere Repertoirevorstellung, die eigentlich Lotte Lehmann singen sollte, nämlich die Elisabeth im Tannhäuser mit Carl Hartmann (Tannhäuser), Herbert Janssen (Wolfram) und Karin Branzell als Venus. Davon sind mir keine Aufzeichnungen oder Andenken überliefert. Dies blieb das letzte Mal, dass sie an der Met aufgetreten ist. Unten finden sich noch ein paar Anzeigen ihres Konzertagenten, wo sie weiterhin als Prima Donna der Met bezeichnet wird.
Anzeige für die Saison 1938/39 mit Bild als Oktavian und Hinweis auf den Auftritt in Boston im März 1938 |
Anzeige für Konzertbuchungen als Liedersängerin von 1941/42 |
Da an der Met eine große Konkurrenz herrschte, war es schwer, auch als noch relativ junge Sängerin (Anfang 1939 war Grete Stückgold erst 43 Jahre alt) dort weitere Engagements zu bekommen. Vor einigen Jahren erwarb ich einen Brief aus dem Jahre 1943 an einen Manager der Met. Leider habe ich ihn anscheinend verloren. Dort bat eine Sängerin - ich weiss nicht mehr genau, ob es Grete Stückgold oder Elisabeth Rethberg war - dringend darum, doch wieder berücksichtigt zu werden und beklagte sich darüber, dass sie bei der neusten Produktion von Cosi fan Tutte nicht engagiert worden sei.
Von Grete Stückgold fand ich bei Ebay einen Brief, den Bruno Walter ihr im Jahr 1952 geschrieben hatte. Aus ihm geht hervor, dass sie ihm wohl vorgeschlagen hatte, dass er sie anhören solle, weil sie die Rolle der Isolde einstudiert hätte. Bruno Walter lehnte höflich ab...
Leider habe ich diesen Brief, der gut zu entziffern war, nicht richtig dokumentiert, und mein Screenshot der Ebay-Anzeige ist sehr unscharf. Trotzdem kann ich den Wortlaut hier wiedergeben. Das im August 2013 angebotene Konvolut bestand aus dem Brief von Bruno Walter plus einem Foto von Bruno Walter, Grete Stückgold und einem unbekannten Mann und wurde für immerhin 127,50 USD bei Ebay verkauft (nicht an mich).
Screenshot der Ebay-Anzeige |
Das Foto |
Brief von Bruno Walter an Grete Stückgold März 1952 |
Der Wortlaut des Briefes lautet:
23.März 1952
Sehr verehrte gnädige Frau,
Ich könnte mir sehr wohl vorstellen, dass Sie im Laufe der Jahre in eine Aufgabe wie die der Isolde hineingewachsen sind. Leider kann ich Ihren Wunsch, Sie anzuhören, nicht erfüllen. Unmittelbar nach der Bewältigung meiner gegenwärtigen Tätigkeit mit der New Yorker Philharmonie+Symphony (?) muss ich nach Europa reisen und kann beim besten Willen keine freie Zeit für irgend etwas anderes als die notwendigen Reisevorbereitungen finden.
Mit besten Grüssen und Wünschen, auch von Lotte
Ihr sehr ergebener Bruno Walter
Wie die Geschichte zeigt, ist es nie zu einer Isolde gekommen. Irgendwann um das Jahr 1952 herum machte Grete Stückgold, die verhinderte Isolde, noch einige Aufnahmen von Hugo Wolf-Liedern, die in meinem anderen Blog gehört werden können http://recordplayer78.blogspot.de/2015/01/grete-stuckgold-spate-aufnahmen.html .
Kurz danach muss ihre Karriere zuende gewesen sein. Auf einem signierten Bild aus dem Jahre 1955 verwendet sie bereits ein Foto, dass sie 20 Jahre jünger zeigt. Ich fand es im Internet.
Der nächsten Beleg, den ich dann von ihr habe, stammt aus dem Jahr 1977 und ist ein Nachruf auf Grete Stückgold anlässlich ihres Todes. Er war auch bei den Unterlagen, die ich erworben habe, dabei. Dieser schmale Artikel ist alles, was in der Erinnerung ihrer Zeitgenossen übrig blieb.
Nachruf auf Grete Stückgold |
Als Grete Stückgold in einem Altersheim in Connecticut starb, war sie 82 Jahre alt und von der Welt vergessen. Makabererweise oder, je nachdem wie man es sehen möchte, ergreifenderweise habe ich auch das Kondolenzbuch bekommen. Es waren ganze zehn Personen, die an ihrer Beerdigung teilnahmen. Eine schrieb: "In Memory of a great soprano".
Der Umschlag des Kondolenzbuches von Grete Stückgold |
Kondolenzbuch anlässlich der Trauerfeier oder Beerdigung von Grete Stückgold vom 12.IX.1977 |
Sich selbst sah Grete Stückgold auch in späteren Jahren wohl am liebsten als "Prima Donna of the Metropolitan Opera", als die sie sich im Januar 1939 noch einmal so richtig fühlen durfte. Ihre Visitenkarte und viele ihrer Erinnerungen an diese Zeit behielt sie bis zuletzt.