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Artikel über den Tenor Fritz Soot (1878-1965)

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Fritz Soot 1926


In meinem anderen Blog  habe ich Aufnahmen von Fritz Soot veröffentlicht. Hier kommen nun als Ergänzung noch zwei Texte über Soot. Der erste stammt aus dem Berliner Musik-Jahrbuch 1926, herausgegeben von Adolf Ebel. Ernst Schliepe schreibt über Soot von S. 77 bis 80.

Berliner Musik-Jahrbuch 1926








Fritz Soot. Wie man Tenor wird. Von Ernst Schliepe.


Als Felix Mottl in Karlsruhe einmal eine szenische Aufführung der „Heiligen Elisabeth" von Liszt dirigierte, sang die kleine Partie des Knaben Ludwig ein elfjähriger Junge, der durch seine schöne Stimme allgemein auffiel. Der Kleine hieß Fritz Soot. Heute ist er Kammersänger und erster Heldentenor an der Preußischen Staatsoper.

Man ist geneigt, hier das bekannte Sprichwort zu zitieren: „Was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten." Aber es stimmt nicht so ganz. Der Studiengang eines großen Sängers verläuft kei­neswegs immer so gradlinig und zielstrebig, wie manch einer sich das vorstellt, und ebensowenig ist immer von Anfang an das große Stimmmaterial vorhanden, das nur so nach Ausbildung schreit. Der Jüngling, der als Knabe so erfolgreich die weltbedeutenden Bretter betreten hatte, fühlte wohl den Trieb zum Singen in sich, besaß aber nach der (ungewöhnlich spät erfolgten) Mutation nur ein zartes Organ, aus dem nach der landläufigen Ansicht kein Kapital zu schlagen war. So wurde er — da es ihn doch einmal zur Musik hinzog — Musikalienhändler. Allein die frühe Berührung mit der Bühne mußte es ihm doch wohl angetan haben; es drängte ihn, sich irgendwie theatralisch zu betätigen. Wozu gibt es drama­tische Dilettantenvereine? Er findet Aufnahme in einem solchen und ist bald ein beliebtes Mitglied, da es sich herausstellt, daß er unzweifelhaft „Talent" hat. Der Karlsruher Dramaturg und Re­gisseur Kilian nimmt sich seiner an und vermittelt es, daß der junge Mann als „richtiggehender" Schauspieler engagiert wird. Natürlich als „jugendlicher Liebhaber".

Nun ist er in seinem Element. Sein Auftreten in Halbes „Strom" bringt ihm den ersten bedeutenden Erfolg. Bald treffen von außer­halb Engagementsanträge ein. Bei Reinhard in Berlin kommt ein Gastspiel zustande (im „Strom" mit Hedwig Wangel zusammen), später ein gleiches in Wien, an der Bühne Schlenthers. Allein in­zwischen hatte der junge Mime, der seine nun im Training befind­lichen Stimmmittel wachsen fühlte, angefangen, Gesangstunden zu nehmen; zwar bei keiner sogenannten „Größe", aber bei einer Lehrerin in Karlsruhe, die ihr Fach verstand. Überraschende Fort­schritte ließen ihn ernsthaft an eine Sängerlaufbahn denken und die Schauspielerkarriere daraufhin beenden. Den „letzten Schliff" sollte Scheidemantel in Dresden der Stimme geben.

Da geschah etwas Unerwartetes. Es zeigte sich wieder einmal, daß ein berühmter Sänger und Gesangstheoretiker durchaus nicht auch ein guter Pädagoge sein muß. Die Scheidemantelsche Methode be­wirkte genau das Gegenteil von dem, was sie sollte: Soots Stimme ging zurück. Je mehr der Gesangsmeister versprach, desto schlim­mer wurde es. Schließlich griff der ratlose Schüler zu einer dra­stischen Selbsthilfe: er fuhr in Abständen heimlich zu seiner frühe­ren Lehrerin nach Karlsruhe und kümmerte sich im übrigen nicht mehr um Scheidemantels Vorschriften. Ein neuer Aufstieg war das Ergebnis — zur Freude des Schülers und seines völlig ahnungs­losen Lehrers, der diesen Erfolg natürlich seiner Methode zu­schrieb. Einige Zeit darauf wagte Soot es, in der Königlichen Oper zu Dresden vorzusingen; er wurde sogleich auf mehrere Jahre als lyrischer Tenor engagiert und debütierte als Tonio in der „Regi­mentstochter".

Es folgte eine Zeit angestrengtester Arbeit; die Tenornot war groß; durchschnittlich jeden zweiten Abend mußte der junge An­fänger, der sich das Vertrauen des Generalmusikdirektors von Schuch erworben hatte, auf der Bühne stehen. Einen jähen Ab­schluß fand diese 1908 begonnene Laufbahn mit dem Ausbruch des Weltkrieges. Soot — der übrigens bereits nach drei Jahren den Titel „Kammersänger" erhalten hatte — eilte als Kriegsfreiwilliger zu den Fahnen. Ohne reklamiert zu werden, blieb er bis zum Ende des großen Ringens im Felde, nicht etwa als „Sänger" zur Unter­haltung der Kameraden, sondern als Nachrichtenoffizier, dem man den Heldentenor nicht ansah. Erst im letzten Kriegsjahr fand sich für ihn Gelegenheit, eine „Theaterabteilung" zu leiten. Nach Frie­densschluß nahm Soot zunächst beim Landestheater in Stuttgart seinen Beruf wieder auf, bis er 1922 von dort nach Berlin ver­pflichtet wurde. Bemerkenswert ist, daß der Künstler hier noch­mals ernsthafte Gesangstudien begann, und zwar bei der (vor einem Jahr verstorbenen) Pädagogin Anna Meilin. Ihr verdankt er. wie er sagt, das Wertvollste seines Könnens.

Fürwahr: ein langer, durch Um- und Abwege erschwerter Auf­stieg für einen Künstler, der als Kind und Jüngling die Berufung zum Sänger in sich trug und in dunklem Ahnen spürte, während die Ungunst der äußeren Verhältnisse ihm den klaren Ausblick zum Ziel versperrte. Und doch war es sein größtes Glück, daß er das Anfangskapital seiner Stimme gleich in die richtigen Hände legen konnte — gerade weil es nicht allzu groß war — und recht­zeitig die Gefahr erkannte, die seiner späteren Entwicklung drohte. Wer heute Fritz Soot singen hört, wird es nicht für möglich halten, daß dieses Organ eigentlich kein Naturgeschenk, sondern im wesent­lichen ein Kunstprodukt ist. Und doch gibt gerade diese Tatsache die Erklärung dafür ab, daß er überhaupt imstande war, das alles zu leisten, was ihm in seinen Engagements zugemutet worden ist und was man heute noch als selbstverständlich von ihm verlangt. Er hat in Dresden das gesamte lyrische und jugendliche Helden­tenorfach gesungen; in Stuttgart, wo (nach Kriegsende) der Über­gang ins Fach der „schweren" Helden — Wagner usw. — erfolgte, hatte er in zwei Jahren 20 Partien zu lernen. (Für den Tristan standen ihm z. B. nur zwei Monate zur Verfügung!) An unserer Staatsoper ist er das am meisten beschäftigte Mitglied; er singt im Durchschnitt an jedem zweiten Abend! Das will um so mehr be­deuten, als die „jugendlichen" und „schweren" Heldentenorpartien gesanglich und musikalisch wie darstellerisch die höchsten Anforde­rungen stellen und sehr anstrengend sind. Nebenher geht natürlich das Studium neuer Rollen, da die Staatsoper ja alljährlich Ur- und Erstaufführungen herausbringt. Unter solcher Berufsanspannung, die einer dauernden Höchstleistung gleichkommt, wäre eine weniger gesunde oder technisch falsch behandelte Stimme längst zu Schaden gekommen.

Allen diesen Belastungsproben jedoch hat das Organ mit erstaun­licher Ausdauer standgehalten. Ohne Zweifel gehört es zu dem For­mat der großen, voluminösen Stimmen, die jeden Raum zu füllen und sich gegenüber dem Tongewoge eines stark besetzten modernen Orchesters siegreich zu behaupten vermögen — doch besitzt es neben dem Heldencharakter auch lyrische Weichheit und die (ge­rade bei Heldentenören so seltene) Fähigkeit, in der Höhe tragende und frei ansprechende Pianotöne herzugeben. Ein Erfordernis, das für Partien wie Lohengrin, Radames, Palestrina von großer Wich­tigkeit ist. Wer hingegen Gelegenheit gehabt hat, Soot etwa als „Othello" zu sehen, wird über die stimmliche Kraftleistung nicht minder erstaunt gewesen sein wie über die fesselnde Darstellungs­kunst, die alle Gefühlsskalen und Temperamentsäußerungen von liebender Zärtlichkeit bis zu tierischer Wildheit mit naturalistischer Treue in packendes Spiel umzusetzen weiß. Den Naturburschen und Rittergestalten Wagners wiederum eignet bei aller Natürlichkeit der Bewegung und Haltung der idealisierende Abglanz vollendeter Romantik, wie sie die musikdramatische Charakterisierung des Bayreuther Meisters erfordert. Demgemäß findet der Künstler in der Darstellung dieser Rollen wie auch aller anderen, in denen neben dem rein Musikalischen es auf das Erleben starker menschlicher Affekte und auf psychologische Entwicklung ankommt, seine will­kommensten Aufgaben.

Der Vollständigkeit halber muß erwähnt werden, daß Soot sein vielseitiges Können auch im Konzertsaal in eigenpersönlicher Weise zu verwerten weiß Er gehört nicht zu den Tenören, die es sich bequem machen und zeitlebens ihre Konzertprogramme mit einem halben Dutzend Opernarien und ein paar Publikumsreißern be­streiten. Er hat an seinen Liederabenden - die er vor Jahren ver­anstaltete - unter anderem die „Schöne Müllerin" von Schubert und die „Dichterliebe" von Schumann vorgetragen; er war auch einer der ersten, die sich für das Schaffen Schönbergs ein­setzten. Selbst heute noch findet man auf seinen Programmen die Namen moderner Komponisten. Auch das Gebiet des Oratoriums ist ihm nicht fremd; er hat u. a. häufig und mit Erfolg den Evan­gelisten m der „Matthäus-Passion" gesungen

Obwohl unser Künstler seine Tätigkeit zum größten Teil der Staatsoper widmet und damit eine der stärksten Säulen des Berliner Opernwesens ist, so hat er doch wiederholt, hauptsächlich im Sommer, A u s l a n d s gastspiele absolviert; z. B. in der Schweiz, in Norwegen und England. Sein Auftreten in der Coventgarden-Oper in London war einer der größten Erfolge, die ein deutscher Künstler dort zu verzeichnen hatte. Eine besondere Sensation ge­wann dies Gastspiel übrigens dadurch, daß man ihn, weil Not am Mann war, im - Flugzeug von Köln nach London hinüberholte.

Es ist das Los aller reinen Künstlernaturen, die nur ihrem hohen Beruf dienen, daß die Umwelt von ihnen nicht viel Aufhebens macht. Sie gewöhnt sich an ihre Gegenwart, nimmt das Bedeutende als etwas Selbstverständliches hin und verliert den Blick für das Außerordentliche. Wer es versteht, für sich raffinierte Reklame zu machen, hat es leichter, auf die Masse zu wirken. Soot verab­scheut die Reklame. Sein Wesen ist auch darin durchaus - deutsch. Daß er trotzdem den Weg zur Höhe in - allerdings schwerem -Aufstieg gefunden hat, ist der beste Beweis für ungewöhnliches Können und echtes Künstlertum.




Fritz Soot in älteren Jahren



Als zweites noch einen Artikel von Einhard Luther über Soot vom Cover der Preiser LP LV 143:




Als sich die ruhmreiche Bühnenkarriere des renommierten Heldentenors Ernst Kraus zu Beginn der zwanziger Jahre ihrem Ende zuneigte, suchte die Berliner Staatsoper lange nach einem geeigneten Nachfolger. Die Wahl fiel 1922 auf den bis dahin in Stuttgart tätigen Fritz Soot.

Eine der eigenartigsten Sängerpersönlichkeiten jener Zeit wurde damit für Berlin gewonnen. Fritz Soot, am 20. August 1878 in Neunkirchen geboren, wandte sein Interesse zunächst der Sprechbühne zu. 1901 betrat er die Bühne des Hofthea­ters in Karlsruhe; bis 1907 blieb er Mitglied des dortigen Schauspielensembles. Seine Karriere hätte mit der 1907 an­gebotenen Verpflichtung an das Burgtheater in Wien einen frühen Höhepunkt gefunden, denn er sollte als Nachfolger von Kainz engagiert werden. Soot jedoch, der damals bei dem berühmten Bariton der Dresdener und Bayreuther Bühnen, Karl Scheidemantel, Gesang studierte, lehnt den Vertrag nach Wien ab, bricht seine bisher so erfolgreiche Schauspielkar­riere ab und debütiert 1908 an der Dresdener Hofoper als Tonio in der komischen Oper „Die Regimentstochter" von Gaetano Donizetti.

Bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges umfaßt sein Reper­toire zumeist Rollen des lyrischen Tenorfaches; er wirkt am 26. Januar 1911 in der Uraufführung des „Rosenkavalier" von Richard Strauss in der Partie des italienischen Sängers mit. Eine Entwicklung zum schweren Heldenfach deutet sich je­doch schon in den letzten Jahren vor Beginn des Krieges an; Loge, Erik und Stolzing gehören schon vor dem Kriege zu Soots Repertoire.


Fritz Soot, Foto von 1915, signiert 1919

Als Offizier nimmt Soot am Weltkrieg teil; erst 1918 kann er seine unterbrochene Sängerlaufbahn wieder aufnehmen. In Stuttgart vollzieht er die Entwicklung zum Heldentenor. Er eignet sich die schweren Wagnerpartien an, ohne die Ge­schmeidigkeit schlanker Tongebung zu verlieren. Soot ist bis etwa Mitte der dreißiger Jahre einer der vielseitigsten und wendigsten Wagnertenöre, die das deutsche Musiktheater kennt. Als einer der intelligentesten Operndarsteller weiß er seine nicht baritonal-schwergewichtige, sondern stets elegant geführte, hell timbrierte Tenorstimme mit äußerster Virtuo­sität einzusetzen. Als Othello, Tannhäuser oder Tristan ist er schon während seines Stuttgarter Wirkens weit über Deutsch­lands Grenzen hinaus bekannt.

Im Jahre 1921 gastiert Soot an der Wiener Staatsoper; im Sommer 1922 wird er für die in dieser Form neugegründeten Wagnerfestspiele in der Zoppoter Waldoper verpflichtet. Er singt dort alternierend mit Fritz Vogelstrom und Heinrich Knote die Titelrolle in Richard Wagners „Siegfried". Der Er­folg dieser Vorstellungen entscheidet über den künftigen Ruf der Zoppoter Waldfestspiele, die als „Bayreuth des Nordens" in die Theatergeschichte eingegangen sind.

1922 beginnt Soot seine Tätigkeit an der Staatsoper in Berlin. 1924 wird er für die ersten deutschsprachigen Wagnerauf­führungen nach dem Kriege an der Londoner Covent Garden Opera verpflichtet; in dieser und der folgenden Opernsaison in London tritt er als Siegfried, Siegmund, Stolzing, Tristan, Erik und Ägisth auf. Bis zum Jahre 1931 ist er fast alljähr­lich Gast in Zoppot, wo er auf der stimmungsvollsten Opern­bühne der Welt als Parsifal, Lohengrin, Siegmund und Sieg­fried zum Festspielniveau der Aufführungen beiträgt.

Seine Gastspieltätigkeit ist sonst im Wesentlichen auf den deutschen Sprachraum begrenzt. Soot hat seine Bindung an die Berliner Staatsoper sehr ernst genommen; sein Reper­toire dürfte unter seinen Fachkollegen ohne Vergleich sein, was die Vielseitigkeit seiner Darstellungsmöglichkeiten be­trifft. Nimmt man die Zeit seiner Schauspielkarriere hinzu, so hat seine Bühnenlaufbahn genau ein halbes Jahrhundert gedauert: noch im Jahre 1951 hat er an der Städtischen Oper in Berlin, im Alter von 73 Jahren, einen überaus akzentuier­ten und stimmlich ausgezeichneten Herodes gesungen. Die Schallplatte gibt seinen weitgespannten Interpretationsradius nur zum Teil wieder; auffallend ist jedoch stets die musi­kalische Gewissenhaftigkeit, die sorgfältige Sprachbehand­lung und eine bis ins kleinste Detail ausgefeilte Rollenauf­fassung. Noch bei seinem 80. Geburtstag hat Soot erstaunliche Liedaufnahmen gemacht. Als er am 9. Juni 1965 starb, ging einer der interessantesten Wagner- und Charakterdarsteller der Jahre zwischen den beiden Kriegen dahin.

Einhard Luther























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